Warum es Facebook an sozialer Intelligenz mangelt

Timeline, Edgerank, Promoted Posts und Co.

Aus der Sicht eines Social Media Managers

Lieber Mark Zuckerberg,

ich habe Dir viel zu verdanken.

Ich kann meine Miete bezahlen, habe nach dem Studium sofort einen Job gefunden. Du und Deine Schöpfung, das allgegenwärtige und doch unsichtbare Netzwerk Facebook, habt für mich - und viele andere da draußen - den Weg zu einem neuen Traumberuf geebnet: Ich bin Social Media Manager.

Dafür bin ich dankbar, denn ich weiß: Ohne die Erfolgsgeschichte von Facebook gäbe es meinen Arbeitsplatz heute nicht.

Wie Du Dir sicher vorstellen kannst, verbringe ich viel Zeit in Deinem Netzwerk, das Du freundlicherweise mit mir und weiteren 900 Millionen Menschen teilst. Ich habe mich dort eigentlich immer recht wohl gefühlt. Bis heute.

Digitale Sozialarbeiter einer neuen Generation
Alles hat mit der Umstellung der Fanpages aufs neue Timeline-Format angefangen. Ein paar Überstunden kann ich problemlos verkraften - auch wenn diese vermeidbar gewesen wären, wenn Du und Dein Team einfach ein paar Tage eher Bescheid gegeben hätten, dass uns hier einschneidende Änderungen in unserem Arbeitsalltag bevorstehen (und damit meine ich nicht das Layout).

Schöner Schein: Facebooks neue Timeline
Schöner Schein: Facebooks neue Timeline

Die strategische Neuausrichtung, die hinter dieser Entwicklung steckt, kann ich hingegen nicht so einfach verschmerzen.

Wir Social Media und Community Manager sind die digitalen Sozialarbeiter einer neuen Generation. Wir sind auch in der Kaffepause online und für unsere Fans und Follower da. Wir loggen uns nach Feierabend zwischen zwei Bier, am Wochenende auf dem Heimweg in der U-Bahn und sogar im Urlaub ein - und zwar nicht um zu sehen, wie die Geschäfte laufen, sondern weil uns unsere Community am Herzen liegt, die Menschen hinter den User-Zahlen.

Zurück ins Zeitalter der Litfaßsäulen
Zu Beginn waren wir alle von Deinem Netzwerk begeistert. Endlich eine Möglichkeit, Fans und Kunden nicht nur zu willenlosen Empfängern von Marketing- und Werbepläne zu degradieren. Endlich echte Kommunikation! Endlich ein Dialog auf Augenhöhe! Und jetzt?

Mit dem neuen Timeline-Modell hast Du Facebooks Fanpages zurück ins Zeitalter der Litfaßsäulen katapultiert. Wir dürfen unsere Seiten nun wieder mit hübschen Hochglanzbildern zukleistern. Die Beiträge unserer Fans, Herz und Seele jeder lebendigen Community, hast Du hingegen in eine unattraktive Box verbannt.

Fan-Beiträge werden in eine unattraktive Box gequetscht
Fan-Beiträge werden in eine unattraktive Box gequetscht

Doch auch mit dieser Verschlimmbesserung könnten wir leben. Wir finden Workarounds, alternative Lösungen, um unseren Fans auch weiterhin die ihnen gegenüber angebrachte Wertschätzung entgegenbringen zu können - das ist schließlich unser Job als soziale Digital-Strategen.

Unfreiwillige Unmündigkeit
Völlig machtlos sind wir hingegen, wenn es darum geht, unsere Fans auch tatsächlich zu erreichen. Facebooks Edgerank kennen wir natürlich schon länger - diesen ominösen Algorithmus, der angeblich dafür sorgt, dass die Nutzer nur noch Updates angezeigt bekommen, die sie auch tatsächlich interessieren. So die Theorie.

In der Praxis scheint es Dir, lieber Mark, aber leider nur ums Geschäft zu gehen und nicht um das Wohl Deiner Community.

Erst hat die Reichweite unserer Statusupdates heimlich still und leise immer weiter abgenommen. Das bedeutet schlicht: Der größte Teil unsere Fans bekommt die Statusupdates, die wir für sie machen, einfach nicht mehr angezeigt. Wovon die meisten natürlich keine Ahnung haben. Denn früher konnte man als mündiger User noch selbst entscheiden, welche Updates man in seinem Newsfeed sehen wollte und welche nicht.

Nur 24% der eigenen Fans wurden mit dem Statusupdate erreicht.
Nur 24% der eigenen Fans wurden mit dem Statusupdate erreicht.

Um uns und unsere Fans aus dieser unfreiwilligen Unmündigkeit zu befreien, hast Du uns die neue Werbeform Promoted Posts an die Hand gegeben. Das bedeutet: Wenn wir als Seitenbetreiber dafür sorgen wollen, dass unsere Fans die Updates, die sie mit dem Klick auf den Like-Button bei uns abonniert haben, auch tatsächlich bekommen, müssen wir die Kreditkarte zücken.

 

Wir sollen uns die verlorene Reichweite einfach von Facebook zurückkaufen. Diesen selbstlosen Service lässt Du Dir, je nach gewünschtem Reach und Größe der Community, gut bezahlen.

Promoted Posts - Facebooks neues Geschäftsmodell
Promoted Posts - Facebooks neues Geschäftsmodell

Engagement ohne Effekt
Dieses Geschäftsgebaren empfinde ich als absolut unlauter. Schließlich lassen wir uns unsere Fans schon jetzt einiges kosten: Wir überweisen Dir Geld für Facebook-Anzeigen, damit User überhaupt auf unsere Seite aufmerksam werden; bauen Links auf unseren reichweitenstarken Homepages und Webshops ein; drucken Dein Logo auf unsere Werbemittel. Alles, um neue Fans zu gewinnen und damit indirekt immer auch Werbung für Dein Netzwerk zu machen, Mark.

Sind die User schließlich auf der Fanpage angekommen, tun wir als verantwortungsvolle Community Manager alles, damit sie sich dort wohlfühlen. Wir tüfteln stundenlang an Redaktionsplänen, erfinden neue Fan-Aktionen, recherchieren und erstellen interessanten Content. Das ist unser Job, den wir lieben.


Doch was nützen die kreativsten Ideen und das höchste Engagement, wenn es keiner mehr sieht? Wie soll ein Dialog entstehen, wenn wir unsere Fans nicht mehr erreichen?

Bei aller Dankbarkeit, lieber Mark:

Diesem Geschäftsmodell mangelt es an sozialer Intelligenz. Und ich glaube nicht, dass sich das ein Social Network wie Facebook auf Dauer leisten kann. 


Update, 13.07.2012:

 

Am 10. Juli habe ich den Link zu diesem Blog-Post auf der Facebook-Seite von "Facebook Marketing Deutschland" geteilt. Hier das Feedback des deutschen Facebook-Marketing-Teams (zum Lesen bitte die Grafik anklicken):

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Kommentare: 18
  • #1

    Tom Beck (Donnerstag, 12 Juli 2012 13:55)

    Danke, die leichte Dosis Humor macht's mir möglich Facebook endlich auch so zu sehen. Großartiger Artikel.

  • #2

    Anna Ermann (Freitag, 13 Juli 2012 13:35)

    Hallo Tom, danke für Dein nettes Feedback! Ich finde auch: Wenn wir Dinge schon nicht ändern können, sollten wir zumindest versuchen, sie mit einem gewissen humoristischen Abstand zu betrachten :-)

  • #3

    Daniel (Sonntag, 15 Juli 2012 19:50)

    Super Beitrag, der leider der Wahrheit entspricht..

  • #4

    iMrE (Montag, 16 Juli 2012 18:16)

    "Promoted Posts"? So etwas gibt es? Eine geniale Marketingstrategie! Das lässt sich doch sicher auf mehrere Felder des Lebens übertragen! ;-)

  • #5

    Petra (Dienstag, 17 Juli 2012 09:41)

    Kleine Frage:
    Was hättest Du gelernt bzw. studiert, wenn es diesen (eigentlich) überflüssigen Beruf des Social Media Experten nicht geben würde?

  • #6

    George (Dienstag, 17 Juli 2012 10:33)

    Im voraus (sorry for my bad German)...Ich finde den Artikel auch super. Es zeigt eine normale Entwicklung im Internet World: 1-Social, 2-Bekanntheit, 3-Erfolg, 4-Gier, 5-Niedergang (siehe Yahoo, My Space, Second Life etc...) Ich habe mitbekommen dass aus meine Freundeskreis viele Facbook nicht mehr so viel benutzen wie früher. Nach und nach wird aus dem Social Network ein Advertising Network wo nur Werbe Leichen rumschwimmen. Ich freue mich dass es so ist, somit haben andere Entrepreneurs eine Chance neue Ideen zum Erfolg zu bringen... Danke Anna.

  • #7

    Sara (Dienstag, 17 Juli 2012 10:38)

    Irgendwo habe ich auch gelesen, dass die Chroniken für Unternehmen nicht so erfolgreich sind, wie das vorherige Profil, weil es viele Nutzer einfach unübersichtlicher finden.
    Persönlich und privat bin ich ein Fan der Chronik, weil sie meinem ästhetischen Empfinden entspricht. Beruflich gesehen finde ich sie eine Katastrophe. Danke für den Artikel.

  • #8

    Barbara Maria Zollner (Dienstag, 17 Juli 2012 11:00)

    Was aussah wie beflissener Aktionismus, ist gewinnbringendes Konzept - danke für den Beitrag. By the way: Braucht man als Marketingsprecher für Facebook Deutschland keine Orthografie mehr zu können?

  • #9

    Anna Ermann (Dienstag, 17 Juli 2012 12:22)

    Hallo Petra,

    dass die Sozialen Medien mein Beruf sind, hat sich eher zufällig ergeben. Gelernt habe ich eigentlich das Schreiben (als Redakteurin bei einer Tageszeitung). Und studiert habe ich Medienwissenschaft, Pädagogik und Publizistik. Ohne Facebook würde ich also vermutlich immer noch hauptberuflich als Journalistin arbeiten.

    P.S: Übrigens gebe ich Dir völlig recht: Social Media EXPERTEN braucht wirklich niemand!

  • #10

    Anna Ermann (Dienstag, 17 Juli 2012 12:26)

    Hallo George, danke für Deinen Beitrag! Man darf in der Tat gespannt sein, ob dieses "neue Geschäftsmodell" der Anfang vom Ende für Facebook ist. Und noch mehr darauf, was danach kommt!

  • #11

    Anna Ermann (Dienstag, 17 Juli 2012 12:30)

    Hallo Barbara, das mit der Rechtschreibung habe ich mich auch schon gefragt... Wenn schon der Inhalt unbefriedigend ist, sollte man wenigstens versuchen die Form zu wahren ;-)

  • #12

    Flyke (Dienstag, 17 Juli 2012 12:37)

    Facebook kann nur so mächtig sein, weil die breite Masse der Nutzer unwissend ist. Gerade jüngere Leute halten Facebook und Goolge für das Internet. Etwas anderes kennen sie nicht. Dabei benötigen wir Faceboogle überhaupt nicht. Das Internet ist HTTP, Email und Usenet.

    Aber es scheint immer hoffnungsloser zu werden. Die meisten Leute kennen die Adresszeile ihres Browsers schon garnicht. Die nehmen sie nicht einmal wahr. Sie geben das gesuchte Thema einfach in die automatisch installierte Startseite ihres Providers ein, klicken auf "Suche" und gehen dann auf die erste angezeigte Seite. Wenn sich der Suchalgorithmus ändert rufen sie beim Support ihres DSL-Anbieters an und beschweren sich, weil die vermeintlich zum Suchbegriff gehörende Seite nicht mehr angezeigt wird.

    Jüngst habe ich in der S-Bahn die Unterhaltung zweier etwa 14-jähriger verfolgt. Das bekräftigt meine These. Die halten Facebook für das Internet, google für eine Frage-Antwort-Maschine und alles andere für das unheimliche "Darknet".

    Facebook lebt ausschließlich von der Dummheit der breiten Masse.

  • #13

    Tg (Dienstag, 17 Juli 2012 23:43)

    Als Nicht-Social-Dingens-Manger und Nur-User nerven mich viel mehr Dinge an Facebook. Aber bislang scheint's ja zu langen. Man könnte soooo viel machen, anbieten, Freiheit einräumen in einem solchen Netzwerk, wenn man denn wollte. Schon dass alle weltweit mit dem gleichen Design-Aufbau leben müssen (statt wie bei wordpress tausende zur Auswahl zu haben) ist doch schon ein unlustiger Scherz.
    http://www.timo-rieg.de/2012/04/facebook-starken-und-schwachen/

  • #14

    Martin (Mittwoch, 18 Juli 2012 07:18)

    Hallo Anna,

    vielen Dank für den Post. Ich bin auch ein Betroffener Social Media/Community Manager und stimme in der Beurteilung völlig zu. Mirko Lange postulierte gestern, dass im Schnitt nur 16% der "Fans" die Botschaften eines Unternehmens sehen. Solche Zahlen wird Facebook nicht vor sich her tragen. Immerhin wollen die auch mal Geld verdienen. Und da macht es sich nicht gut, wenn die Plattform wertloser wird. Jetzt stellen sie fest (s. Antwort auf deinen Post), dass die Plattform zu groß geworden ist für die (vielleicht ursprünglichen) Ideen. Ein Dilemma. Und dann will ja der liebe Mark auch endlich etwas von dem vielen Geld sehen, dass er mit dem Börsengang erlöst hat. Wir sollten nicht vergessen, dass FB die Plattform nicht nur aus reinem Altruismus aufgebaut hat.

  • #15

    Ambrosch (Mittwoch, 18 Juli 2012 12:03)

    Toller Artikel. Vielen Dank für die Veröffentlichung Deiner sehr interessanten Sichtweise. In den meisten Punkten stimme ich Dir zu 100 % zu.

  • #16

    Anna Ermann (Mittwoch, 18 Juli 2012 15:17)

    Hallo Martin,

    danke für Deinen Kommentar (an allen anderen übrigens auch)! Du hast vollkommen recht: Als User von Plattformen wie Facebook vergessen wir leider im Alltag viel zu oft, dass es auch hier ausschließlich ums Geschäft geht. Traurig, finde ich, besonders für ein SOCIAL Network - aber nun mal nicht zu ändern.

  • #17

    Joe (Donnerstag, 19 Juli 2012 09:27)

    Tja. Warum ein Post weniger oft angezeigt wird ist einfache Mathematik :-) Das hat mit FACEBOOK NIX zu tun. (Natürlich spielt der Algoritmus eine Rolle, bei dem Postings von Freunden wichtiger sind wie die von Firmen.) Aber mit der Menge der Posts, wie soll ich da ALLE Postings sehen, wenn ich NICHT PERMANENT auf FB bin?

    Aufgrund dieser Tatsache - und aufgrund der Tatsache, das FB weiß, das Social Media Manager sehr viel Zeit in die Inhalte der Posts investieren, hat FB nun die Möglichkeit der Promotet Posts geschaffen, damit diese Posts NICHT "normal" im Stream mitschwimmen und bei der Vielzahl der Posts untergehen. Das FB mit diesem Service auch Geld verdient ist legitim.

    Ich sage nicht das ich mit allem einverstanden bin, was Facebook macht. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass eventuell andere Überlegungen hinter gewissen kritisierten Dingen stehen, die man auf den ersten Blick vielleicht nicht erkennt.

    Und wenn sich wer über FB aufregen könnte, dann bin ich das :-) Da mir Facebook 1 Mio Euro in Cash gekostet hat.

  • #18

    Felix (Donnerstag, 16 August 2012 21:59)

    Irgendwann kommt der Punkt, da müssen auch "Start-Ups" Geld verdienen. Gerade die, die an die Börse gehen. Wer hätte das gedacht ...