Mysterium aus Blech

- Plädoyer für ein ungewöhnliches Hobby -

 

Mit was sich Menschen in ihrer Freizeit alles so beschäftigen!
Die einen sammeln Bierdeckel, die anderen spielen im Keller mit ihrer Modelleisenbahn. Und wieder andere treffen sich, um gemeinsam Musik zu machen.

Wenn sich Bekannte höflich nach meinen Plänen fürs Wochenende erkundigen, hört sich das hin und wieder so an:


„Und was hast Du am Wochenende so vor?“ - „Ich spiele Posaune.“
„Aha, cool. In einer Band?“ - „Nein, im Posaunenchor.“
Irritiertes bis überfordertes Schweigen.


Nicht jedermanns Sache

Nach 20 Jahren habe ich mich inzwischen an solche Reaktionen gewöhnt. Und ich habe Verständnis dafür. Ehrlich! Es ist nun mal nicht jedermanns Sache, sich sonntags früh aus dem Bett zu quälen, um ein widerspenstiges Stück Blech zum Klingen zu bringen. Und dann auch noch vor Publikum.

Ein Hobby? Für die meisten eher ein Mysterium.

 

Nicht so für die 18.000 Blechbläser in Bayern, die sich in ca. 900 örtlichen Posaunenchören engagieren. Für die meisten von ihnen ist Posaune, Trompete, Horn oder Tuba zu spielen mehr als eine beliebige Freizeitbeschäftigung.

 

Hobby und Auftrag zugleich
Nirgendwo in unserem lärmenden Alltag ist die christliche Botschaft von Versöhnung, Nächstenliebe, Trost und Zuversicht hörbarer als im sonoren Schall eines Blechbläser-Ensembles. Nirgendwo kommt sie den Menschen so nahe, wie in den warmen und zugleich klaren Klängen eines Posaunenchors.

Wir, die Bläserinnen und Bläser, sind es, die an den entscheidenden Wegpunkten des Lebens die Menschen mit unserer Musik begleiten - bei Taufen, Hochzeiten und auch Beerdigungen.

 

Wir drücken mit unseren Klängen aus, was die Menschen in diesen Schlüsselmomenten bewegt: Freude, Glück, aber auch Trauer. Gefühle, mit denen viele in der Stille ihrer eigenen Gedanken überfordert wären, oder gar nicht erst zulassen könnten.

 

Klingende Katalysatoren

Unsere Musik ist eine Universalsprache, die jeder versteht und die niemanden unberührt lässt. Ganz egal, ob gläubiger Gottesdienstgänger, kirchenferner Pragmatiker oder zufälliger Zuhörer. Unsere klingenden Schallstücke werden zum Katalysator der Emotionen.

Das kann natürlich nur nachvollziehen, wer es schon einmal erlebt hat; wer erfahren hat, wie es ist, zu den Klängen eines Posaunenchors dem Sarg eines geliebten Menschen zu folgen; oder ein Neugeborenes auf dem Weg zum Taufstein in den Armen zu halten.

Es sind diese ganz besonderen Momente, die Posaunenchöre mit ihrer Musik begleiten und verstärken.

 

Wir sind die Seele!

Seltsam, dass ausgerechnet die bayerische Landeskirche, auf deren Gunst und Förderung die Posaunenchöre angewiesen sind, das vergessen zu haben scheint.

Wir sind das Salz!“ - so drückt es eine Initiative von Ehrenamtlichen aus, die auf die zunehmend schwierige finanzielle und personelle Situation des Verbands evangelischer Posaunenchöre in Bayern aufmerksam machen will.

 

Ich würde sogar soweit gehen und sagen: Wir sind die Seele - die Seele einer jeden Gemeinde, die Seele eines jeden Gottesdienstes, den wir begleiten.

Wir schaffen, woran so viele kirchenpolitische Initiativen und Projekte heutzutage scheitern: Wir bringen die Menschen zum Zuhören. Wir rühren sie an.

 

Community im besten Sinne

Um das zu erreichen üben wir lästige Tonleitern, komplizierte Vorzeichen- und Takt-Wechsel. Wir nehmen Urlaub, wenn unerwartet eine Beerdigung ansteht. Wir verbringen Adventssonntage nicht gemütlich bei Plätzchen und Glühwein, sondern mit der Trompete oder Posaune in der Hand.

Bei uns ist jeder willkommen! Vom Grundschüler bis zum Rentner. Selbst Menschen mit Handicap finden hier ihren Platz. Wir sind eine Gemeinschaft, wie man sie heutzutage nur noch selten findet.


Überlebensfähigkeit fördern
Zu diesem Team gehört auch unser Verband.

Dessen Fortbildungs- und Freizeitangebote, die besonders Kinder und Jugendliche motivieren, ihrem eigenwilligen Instrument und exotischen Hobby treu zu bleiben (was wirklich nicht immer ganz einfach ist), unterstützen die Überlebensfähigkeit der einzelnen Posaunenchöre in erheblichem Maße.

Auch ich hätte mich, ohne diese motivierenden Erlebnisse, als Teenager wohl von meiner Posaune getrennt. So aber ist es für mich schon lange kein Problem mehr, selbstbewusst dazu zu stehen, dass das Instrument meiner Wahl keinen Stromanschluss hat und am schönsten am Sonntagmorgen in einem Kirchenraum klingt.

Foto: Steffi Ragati
Foto: Steffi Ragati

Rock‘n‘Roll sieht anders aus!

Obwohl...

 

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Wer die Initiative "Wir sind das Salz!" unterstützen möchte, findet diese übrigens auch bei Facebook.

 

Und wer ein Blechblasinstrument spielt, oder es lernen möchte, ist jederzeit bei uns im Posaunenchor Nürnberg-Schniegling willkommen! Wir proben immer montags um 19:30 Uhr :)

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Kommentare: 2
  • #1

    Karl (Donnerstag, 02 Mai 2013 11:34)

    Ich habe nach ca. 27 Jahren Posaunenchor mein Tenorhorn an den Nagel gehängt. Die Luft war raus.

  • #2

    Anna Ermann (Donnerstag, 02 Mai 2013 12:32)

    Hallo Karl, das ist schade - aber ich kann es auch verstehen: Genügend Luft für dieses Hobby übrig zu haben, ist wirklich nicht immer einfach...