Die AZ Nürnberg sagt Ade

Die letzte Titelseite
Die letzte Titelseite

...und niemanden interessiert es

 

Es ist ein trauriger Tag für Nürnberg.

Und eigentlich, sollte man meinen, ein trauriger Tag für die gesamte deutsche Medienbranche. Die Nürnberger Abendzeitung, das 8-Uhr-Blatt, ist nach 93 Jahren von uns gegangen.

 

Zum letzten Mal kann man sich heute eine Ausgabe von Deutschlands ältestem Boulevardblatt aus einem der blauen Zeitungskästen am Straßenrand ziehen.

 

Es ist mir unbegreiflich, wie solch eine mediale Institution in einer Halbmillionenstadt wie Nürnberg einfach so über Nacht geräuschlos von der Bildfläche verschwinden kann.

Öffentliche Aufmerksamkeit - Fehlanzeige

 

Nicht, dass das Aus für die AZ aus heiterem Himmel gekommen wäre. Als Nürnberger konnte man den Niedergang des Nischentitels über Jahre hinweg verfolgen.

 

Und trotzdem ist es schockierend, wie wenig öffentliche Aufmerksamkeit die Todesnachricht nun tatsächlich ausgelöst hat.

 

Bei der Konkurrenz finden sich, wenn überhaupt, nur nüchtern gehaltene Vollzugsmeldungen. Vielen anderen Medien war das Aus der AZ nicht einmal eine Nachricht wert.

 

Und online ist es heute, am letzten Erscheinungstag, bereits fast so, als hätte es die Nürnberger Abendzeitung nie gegeben. Die Webseite ist abgeschaltet, Twitter- und Facebook-Account wurden gelöscht.

 

Ich sage nicht, dass die AZ um jeden Preis hätte gerettet werden müssen (AZ Nürnberg - Ein Abgesang). Aber die Art und Weise, wie sie jetzt sang- und klanglos von Nürnbergs medialer Bühne verschwindet, hat selbst sie nicht verdient.

Lange Gesichter - die AZ-Redaktion verabschiedet sich von ihren Lesern
Lange Gesichter - die AZ-Redaktion verabschiedet sich von ihren Lesern

"Allmächd AZ: Voll an die Wand gefahren!"


"DANKE" lautet die letzte Schlagzeile in der 93-jährigen Geschichte des Traditionsblatts. Ich kann verstehen, dass sich die Mitarbeiter der Redaktion "anständig", wie es der stellvertretende Redaktionsleiter Jürgen Eisenbrand in einem seiner letzten Artikel unter dem Titel "Wir sagen leise Adé" ausdrückte, von ihren Lesern verabschieden wollten.

 

Gerade deswegen hätten es aber ein lautes Adé und eine denkwürdige Ausgabe sein müssen. Eine bunte, eine ehrliche, eine authentische!

Daraus ist leider nichts geworden. Ich gebe zu: Ich war enttäuscht, als ich heute Morgen, noch im Bett, die iPad-Ausgabe durchblätterte. "DANKE" - und dazu ein (sorry, Udo) schlechtes Titelfoto des Redaktionsteams.

 

Innen dann, angepasst und relevanzfrei wie leider immer öfter in den vergangenen Jahren, zwei Seiten zur Zeitungshistorie und nochmal eine Doppelseite mit persönlichen Abschiedsworten der Redaktion. Auch hier kaum ein Satz, der wirklich berühren kann. Lediglich ein paar der Altgedienten trauen sich, persönlich zu werden. Susi, Andrea, Berny - und natürlich der Ferschi, der's mal wieder ungekünstelt und fränkisch frech auf den Punkt bringt: "Allmächd AZ: Voll an die Wand gefahren!"

 

Von dieser schonungslosen Authentizität hätte ich mir mehr in dieser allerletzten AZ-Ausgabe gewünscht. Aber vielleicht ist es genau das, was dieser Zeitung und auch ihren Lesern in den letzten Jahren immer mehr gefehlt hat: Mut zu unbequemen Standpunkten, echte fränkische Glaubwürdigkeit halt.

Was in der letzten Ausgabe der AZ eigentlich hätte stehen sollen

 

Bitte nicht falsch verstehen, liebe Ex-Kollegen! Ich kann mir gut vorstellen, wie schwierig es für euch in letzter Zeit gewesen sein muss, die richtigen Worte zu finden. Und hättet ihr das geschrieben, was euch wirklich bewegt, wäre diese letzte Ausgabe wahrscheinlich nie in Druck gegangen. Paradox!

Das ist es auch, glaube ich, was mich in erster Linie so wütend und traurig macht. 

 

Ihr konntet nicht schreiben, wie unendlich hilflos man sich fühlt, wenn einem über Nacht nicht nur die Lebensgrundlage, sondern auch ein ganz wesentlicher Bestandteil des eigenen Selbstverständnisses und damit der eigenen Identität genommen wird.

 

Totalschaden unvermeidbar

 

Ihr konntet nicht schreiben, dass ihr die Wand, an die die AZ letztlich gefahren wurde, schon lange auf euch zukommen gesehen habt. Totalschaden unvermeidbar.

 

Ihr konntet nicht schreiben, dass es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit ist, dass gute Journalisten von Berufswegen her Missstände aufdecken und anprangern sollen, über das Geschehen hinter den Türen der eigenen Redaktion aber schweigen müssen.

 

Zum Suizid gezwungen?

 

Ihr konntet nicht schreiben, dass ihr insgeheim daran zweifelt, ob der Patient AZ - trotz seines hohen Alters von 93 Jahren - eines natürlichen Todes gestorben ist. "Zum Suizid gezwungen" wäre vielleicht die treffendere Schlagzeile gewesen.

 

Ihr konntet nicht schreiben, wie schwer es sein kann, sich selbst einzugestehen, dass man als Tageszeitungsredakteur zu einer aussterbenden Art gehört, für die es keine echte Lobby gibt.

 

Ihr konntet nicht schreiben, wie viel ihr in den letzten Jahren für eure Arbeit, die für einige mehr als nur ein Job gewesen ist, geopfert habt - Freizeit, Gesundheit, Lebensqualität. Letztendlich ohne Erfolg, was im Nachgang ziemlich bitter schmecken dürfte.

 

Abschied vom Berufstraum Journalismus

 

Und ihr konntet nicht schreiben, dass ihr es euren Lesern eigentlich gar nicht übelnehmen könnt, sollten sie die Abendzeitung bald vergessen haben.
Schließlich habt ihr euch innerlich nicht erst mit der heutigen Ausgabe von ihnen und eurem Berufstraum Journalismus verabschiedet.

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Kommentare: 5
  • #1

    R. Kelas (Sonntag, 30 September 2012 12:38)

    Traurig aber wahr!

  • #2

    AZler (Sonntag, 30 September 2012 21:38)

    Wer die Kuh noch melken will, sollte im Vorfeld nicht zu viel Gas geben. Sonst wird die Milch sauer. Leider!

  • #3

    AZlerin (Montag, 01 Oktober 2012 12:35)

    Laut, bunt, ehrlich - liebe Anna, wenn man tags zuvor erfährt, dass man freitags die letzte Ausgabe produzieren muss... mehr kann und will ich zu diesem Post nicht sagen.

  • #4

    Anna Ermann (Montag, 01 Oktober 2012 14:02)

    Liebe AZlerin,

    dafür habe ich vollstes Verständnis! Ich kann sehr gut nachempfinden, wie es Euch an diesem Freitag in der Redaktion gegangen sein muss...

    Gerade deswegen finde ich es ja so brutal, den Mitarbeitern erst am Vortag Bescheid zu geben - und ihnen damit jede Chance zu nehmen, angemessen auf die schlimme Situation reagieren zu können.

    Ihr, die Angstellten, seid nur die Leidtragenden, nicht die Verantwortlichen - ich entschuldige mich herzlich dafür, sollte das im obigen Text nicht so rüber gekommen sein.

  • #5

    Konkurrent (Mittwoch, 03 Oktober 2012 00:22)

    Es ist leider überall so: Nicht der Journalismus zählt am Ende des Tages, sondern alternativ die Anzeigenabteilung oder die Verkaufszahl. Die von mir als Konkurrenten lange Zeit durchaus geachtete AZ ist aber in den vergangenen 17 Monaten vor allem durch das eigenartige Layout mehr oder weniger zum marktschreierischen Anzeigenblatt verkommen, gegen das die Bild-Zeitung wie ein seriöses Blatt wirkt. Kurzum: Die Az wurde zum Blatt, von dem die Nürnberger nicht mehr wussten, warum sie es lesen sollten. Und dann haben sie es eben gelassen.
    Anzeigenblatt